INTERVIEW

Cristina Livadariu (stellvertretende Anstaltsleiterin)

Interviewer: Andrei Schwartz

Wie fandst du die Idee, Filme im Knast entstehen zu lassen? Eine Frage, die lächerlich klingt, warst du doch einer der Drahtzieher dieser Aktion…

Wir hatten bereits Erfahrung gehabt: ein Teil der Dreharbeiten an dem Film “Outside” über Gabi Hrieb ist hier entstanden. Und wir haben das Ergebnis und die Reaktionen erlebt, die der Film bei den Insassen und beim Publikum hervorgerufen hat. Speziell die kontroversen Diskussionen, die im Anschluss folgten.

Im Rückblick bedeuteten die jetzigen Dreharbeiten eine Herausforderung für mich. Speziell die Tatsache, dass auch die Insassen die Gelegenheit bekamen, mit einer Filmkamera zu hantieren. Am Anfang habe ich aber nicht alles im Detail bedacht. Ich wusste, dass es schwierig sein würde, andererseits wusste ich auch, dass wir die geeigneten Mitarbeiter dafür besaßen. Alleine hätte ich das nicht geschafft, insbesondere weil die Studentenzahl beträchtlich war. Es ist keine einfache Sache, so viele Filmteams in einer geschlossenen Umgebung zu koordinieren bzw. für ihre Sicherheit und die Einhaltung der Regeln zu sorgen.

Was waren deine Erwartungen, als du dieses Projekt akzeptiert bzw. dich für seine Realisierung eingesetzt hast?

Ich habe mir gewünscht, dass authentische Filmaufnahmen entstehen, die so weit wie möglich das Leben im Strafvollzug wiedergeben/reflektieren, also den Alltag der Insassen und womöglich auch des Personals schildern. Über den Strafvollzug sind zwar auch früher Filme und Reportagen entstanden, aber das eine ist es ein Interview zu führen oder zu inszenieren und etwas anderes so nah bei den Insassen über einen langen Zeitraum zu sein, um ihre Erlebnisse, Empfindungen und Erinnerungen einzufangen, vor allem den quälenden Stillstand hinter den Gefängnismauern, die Eintönigkeit. Denn egal was für Ereignisse im Gefängnis stattfinden, des immer gleichen Personals und der Mittgefangenen wird man überdrüssig. Von außen gibt es wenige  Impulse, um eine Normalität herzustellen… An einem Fluss mit einer Angelrute zu angeln ist etwas ganz anders, als in einem geschlossenen Raum den Umgang damit zu üben.

Für die Insassen war der Kontakt mit systemfremden Menschen extrem wichtig, diesmal gab es nicht die üblichen Sperren gegenüber Leuten von außen. Etwas, was man den Filmen auch ansieht – den meisten zu mindestens.

Was hast du empfunden, als eine Gruppe von 22 Studenten hier rein platzte?

Ehrlich?… Ich habe mich gefragt, was mich bloß geritten hat? Aber für mich war es wie gesagt in erster Linie eine Herausforderung. (lange Pause) Normalerweise mische ich bei solchen Projekten immer mit, ich denke eher an Lösungen und weniger daran, wozu dies gut sein sollte. In diesem Fall wusste ich, dass wir das nur als Mannschaft schaffen könnten und dass es auch für meine Kollegen eine sehr interessante Erfahrung bleiben wird. Außerdem war ich mir bewusst, dass eure Einstellung und der Umgang mit den Protagonisten dieses Projekts das zukünftige Verhalten des Bewachungspersonals beeinflussen werden.  Ebenso unsere Offenheit und das Vertrauen euch gegenüber, sie waren eine überraschende Erfahrung für diese Beamten (Bewachungspersonal). 

Selbstverständlich gab es auch Auseinandersetzungen über bestimmte Regeln

Ich habe vor allem die Teamarbeit in diesem Fall sehr genossen, nicht nur die Kooperation innerhalb des Gefängnispersonals sondern auch die Zusammenarbeit mit euch. Selbstverständlich gab es auch Auseinandersetzungen über bestimmte Regeln, manchmal habt ihr den Hintergrund mancher Entscheidungen nicht ganz verstanden, schließlich stand für uns eure Sicherheit auf dem Spiel. Am Ende hatte ich den Eindruck, dass es sich um ein schwieriges aber dennoch erfolgreiches Projekt gehandelt hat…

Leider gab es am Ende das Ärgernis mit der verschwundener SD-Karte, das einen bitteren Nachgeschmack bei uns hinterlassen hat… 

Stimmt.

* Mehr zur verschwundenen SD-Karte

Dabei waren wir uns so sicher, dass uns so was nicht passieren könnte. Das Merkwürdige daran ist, dass alle den Aufenthalt hier als sicher empfunden haben.

Keine Ahnung, aber das mit der Karte war kein Zufall. Die Tatsache, dass alle sich so in Sicherheit gewogen haben, war eher ein Wagnis für euch und für uns eine Belastungsprobe. Es handelt sich hier um einen Ort, wo man nicht  mit 100 % Sicherheit rechnen kann, außerdem waren wir für euren Schutz letztlich zuständig, um grade sowas zu vermeiden. Und ich denke, dass die Studenten erst danach begriffen haben, dass an diesem Ort Regelungen und Einschränkungen notwendig sind, ansonsten funktioniert das alles nicht.  Auch wenn das für eine künstlerische Tätigkeit eher kontraproduktiv  ist…

Man kann keine Filme nach Vorschriften machen…

Stimmt. Aber bestimmte Maßnahmen müssen hier eingehalten werden. Was wäre passiert, wenn  diese Betrügerei nicht aufgedeckt worden wäre?

Na ja, schließlich haben wir doch gesehen, was für ein Quatsch von demjenigen auf der geklauten Karte aufgenommen wurde…

Das spielt keine Rolle. Das wäre das gleiche, als wenn ein Dieb sagen würde: Ich habe die Brieftasche zwar geklaut, aber es war nur ganz wenig Geld drin. Hauptsache er hat etwas entwendet, was ihm nicht gehörte.

Und trotzdem scheint es mir interessant zu sein, was die anderen auf dem Trakt gesagt haben, dass sie sich für diese Tat schämen, denn sie empfanden uns als ihre Gäste.

Richtig, ein Großteil von ihnen hatten eine Beziehung zu euch aufgebaut und es war eine gegenseitige Bindung. Deswegen das Gefühl, dass sie euch enttäuscht hätten. Abgesehen davon, ist das ganze keine große Katastrophe gewesen, die Sachen kamen dann ins Lot. Auch unsererseits wurde die Angelegenheit nicht unnötig aufgebauscht.

Es war nur schade, dass sowohl bei uns wie auch bei euch ein bittere Nachgeschmack blieb.

So schlimm war es nicht…

Vielleicht galt das nur für mich, ich fühlte mich letztlich verantwortlich für die Studenten.

Da wir tagtäglich mit den Insassen arbeiten, sind wir an solche Regelübertretungen gewöhnt  Sie versuchen ständig, sich verbotene Gegenstände zu beschaffen und sie zu verstecken. Weil ihr aber eine emotionale Beziehung zu ihnen geknüpft habt, habt ihr geglaubt, dass euch so was nicht passieren kann. Zumindest trifft das für einen Teil der hiesigen Studenten zu.

Ich bin an die Sache ohne Erwartungen ran gegangen. Ich hatte bis dato aber noch keine negativen Erfahrungen im Knast gemacht, was Klauen anbetrifft. Nur einmal wurde mir ein Briefumschlag stibitzt, wegen der Briefmarken. Auch in diesem Fall, wo nur eine SD-Karte verschwand, ist es eher als gutes Zeichen zu bewerten, dass nicht noch mehr passierte, wenn du bedenkst wie lange wir hier gewesen sind und wie frei der Umgang mit ihnen war. Jetzt aber zurück zu den Filmen…

Diese Filme bleiben eine Art Gradmesser

Ich denke, dass diese Filme wie eine Art Gradmesser für den Zustand des heutigen Strafvollzugs bleiben/sein werden… Und ich glaube auch, dass jeder, der im Strafvollzug tätig ist, diese Filme sehen sollte… Ich habe mich mit Daniel Pinzaru, dem Vizedirektor für Sicherheit, darüber unterhalten und ich habe ihm gesagt, dass beim Sichten der Filme selbst die Gerüche in dem Zellentrakt spürbar sind.

Dann wär’s perfekt…

Vor allem wenn sie auf der Zelle essen… Dabei sind solche Szenen für uns  Alltag. Und trotzdem haben uns beim Gucken manche Empfindungen und Wahrnehmungen überrascht. Aber stell dir vor, was geht in einem vor, der bis heute kein Gefängnis betreten hat.

Aber ich hoffe, dass sie nicht nur den Knastalltag wiedergeben, sondern auch wie das Leben als solches funktioniert.

Ja, wie das Leben verläuft, aber halt ein Leben hinter Gittern.

Trotzdem bleibt das ein, wenn auch verzerrtes, Spiegelbild des Geschehens da draußen…

Aber nur zum Teil… Ich bin mir ganz sicher, dass viele da draußen keinen blassen Schimmer haben, wie das Leben hier aussieht… Einer der Sträflinge meinte doch: „Für uns hier ist es hart, aber für unsere Verwandten da draußen ist es unvergleichbar härter, zu wissen, dass wir uns hier befinden“. Die Insassen finden sich mit der Zeit hier zurecht, nicht aber ihre Verwandten.

Und weißt du, was die Häftlinge uns gesagt haben? Sie finden diese Filme gar nicht so aufregend, denn der Alltagstrott hier ist ihnen wohl bekannt. (Cristina lacht) Sie haben vollkommen recht: Mit Ausnahme von Susannes schwarzweißen Film, sind die  Filme in erster Linie für die Leute da draußen gemacht worden, nicht für die hiesigen Insassen. Trotzdem fragten sie uns ständig, wann auch der Rest die Filme sehen könnte, da es bei der Vorführung nur für einen Teil von ihnen Platz gab.

Normal. Sie empfanden dadurch eine Aufwertung, etwas was sie nicht allzu oft erlebten. Im positivem Sinn des Wortes. Ihr habt ihnen ein Wertgefühl vermittelt, nicht bloß den Ruf von Spitzbuben… 

Es hat aber eine Zeit gedauert

Daniel Pinzaru hat beim Gelingen des Projektes einen großen Anteil gehabt. Häufig sagte ich zu bestimmten Vorhaben nein und er war trotzdem einverstanden.

Ich hab’s bereits gemerkt und dich entsprechend verflucht (Cristina lacht)… Ich weiß, dass Daniel sehr positiv eingestellt war.

Ich glaube, dass es in Rumänien oder anderswo nicht viele Knäste gibt, die euch etwas Vergleichbares erlaubt hätten.

Und haben wir eure Erwartungen enttäuscht?

Nein. Es hat aber eine Zeit gedauert, bis es gelang, uns miteinander abzustimmen, zu begreifen, was der andere will.

Und ein zusätzliches Problem war, dass auch die Studenten noch nicht wussten, was sie eigentlich wollten.

Außerdem waren drei Wochen für diese Sorte Projekt kaum ausreichend.

Wir haben zwar von den Studenten erwartet, dass sie mit konkreten Plänen hierher kamen… Aber das war wohl illusorisch, wie hätte es ihnen am Schreibtisch gelingen können, die hiesige, unbekannte Realität in Filmprojekten zu verpacken?

Die menschliche Komponente

Was mich vor allem interessiert, ist die Reaktion der Studenten? Wie empfanden sie das hier? Von menschlicher Warte ausgesehen?

Diejenige, mit denen ich darüber sprach, wären sonst nicht zurückgekehrt, wenn sie sich nicht wohl gefühlt hätten und wenn das Erlebte sie nicht weiter beschäftigt hätte. Sie sagen, sie würden häufig daran denken. Für meine Seite kokettiere ich immer damit, dass ich mich im Knast heimisch fühle.

Am Anfang hatte ich allerdings den Eindruck, dass sie auf der Suche nach dem Sensationellen waren. Der Knast als Horrorkabinett.

Das hat aber damit zu tun, dass sie noch nicht wussten, wonach sie suchten. Deswegen klammerten sich sie sich an manchen Schablonen.

So als gäbe eine menschliche Komponente hier nicht genauso…

Es gab auch ein sprachliches Problem: Als Teona, die Rumänisch sprach, fortging, waren Leo und Jakob de-facto verloren. Wie kann sich da jemand auf den menschlichen Aspekt konzentrieren? Die Auseinandersetzung damit ist doch stark ans Narrative gebunden. Der einziger unter ihnen, der etwas Glück hatte, war Pavel, der einen Insassen traf, der Englisch sprach. Es war einfach Pech, dass ich wegen einer Erkrankung so spät dazu gestoßen bin.  

Ich hatte aber den Eindruck, dass sie trotzdem am Anfang erwarteten, ein feindliches Territorium zu erforschen/vorzufinden.

Keine Ahnung, aber vielleicht verwechselst du ihre Erwartungen mit denen von Copel Moscu (rumänischer Dokumentarist  und ehemaliger Professor an der UNATC, der Filmuniversität Bukarest), der nach so was expliziert suchte.

Stimmt. Dennoch traf das gleiche auch für einen Teil der Studenten zu.

Gut möglich, aber ich kann dazu nichts sagen. Als ich 10 Tage später antraf, war diese Phase bereits vorbei… Du siehst doch, dass bei ihrer Rückkehr ein halbes Jahr später die Studenten froh sind, den Insassen ohne Kamera zu begegnen. Also auf der rein menschlichen Ebene. Denn das war, was sie schließlich interessiert hatte. Du kannst dir vorstellen, was es für sie bedeutet, wenn manche Insassen uns erzählen, dass unser Weggang damals ihnen wie eine zusätzliche Inhaftierung vorgekommen ist.

Sie fühlten sich wie Kinder, wenn die Großmutter wieder abreist… (Cristina lacht).

Womöglich. Ich kann das schlecht einschätzen, denn ich wurde im Gefängnis meistens von den Insassen herzlich empfangen. Deswegen empfand ich die Leute da draußen als wesentlich gereizter und unfreundlicher als die Bekanntschaften im Knast.

Und ich habe mich immer bemüht meinerseits Sträflinge und Wärter gleich zu behandeln:… Obwohl auch bei euch waren einige der Wärter uns gegenüber frostig. Sie waren überzeugt, dass wir mit diesen Filmen ein Mordsgeld verdienen würden, was völliger Blödsinn ist. Claudiu (Oberwärter) hat mir allerdings erklärt, dass für seine Kollegen auch problematisch war, dass sie gar nicht wussten, was uns de facto erlaubt war. Sie wurden in der Vorbereitungsphase gar nicht konsultiert.

Es war schwierig alles unter einen Hut zu kriegen

Ja, weil auch für uns eine Premiere war, die richtigen Bedingungen für die teilnehmenden Insassen, das Personal und so viele Filmemacher festzulegen… Es war schwierig alles unter einen Hut zu kriegen… Wir mussten „Learning by Doing“ praktizieren. Außerdem denke ich nicht, dass die meisten Wärter euch feindlich gesonnen waren, sie trugen bloß die Verantwortung für das Geschehen in dem jeweiligen Trakt. Deswegen wollten sie allumfassend informiert werden.

Eine Form von Unsicherheit…

Unsicherheit ihrerseits und Mangel an Vorkenntnissen eurerseits, denn ihr habt ja praktisch keine Recherchephase gehabt. Es war ein Sprung ins kalte Wasser.

Dreharbeiten generieren immer eine  Ausnahmesituation, auch das nächste Mal wird kaum besser. Die Frage, die sich hier stellt, betrifft gleichermaßen Häftlinge und Personal: Hat man uns vertraut oder nicht? Dieses Urteil trifft eher der Bauch als der Kopf.

Ja, aber dafür benötigt man einige Zeit. Auch die Insassen haben eine Weile gebraucht, bevor sie sich auf euch eingelassen haben.

Nicht mal die Mauer haben wir frisch gestrichen

Glaubst du, dass unsere Anwesenheit diese Strafanstalt in irgendeiner Form verändert hat? Schließlich waren wir 23 Filmleute während eines Zeitraums von drei Wochen.

Für uns war dieses Projekt nicht nur eine organisatorische Herausforderung sondern auch eine Prüfung unserer eigenen Kräfte und Möglichkeiten. Jetzt haben wir realisiert, dass wir noch viel mehr wagen könnten, um Projekte dieses Ausmaßes anzupacken.

Es ist interessant, dass bei den Insassen eine ähnliche Veränderung stattgefunden hat. Inzwischen glauben einige, dass sie jetzt im Stande wären, ganz andere Sachen zu leisten, aufgrund der Erfahrung mit den Dreharbeiten.

Na klar, schließlich war die ganze Aktion für uns gleichfalls eine neuartige Erfahrung, einem so großen Team völlige Offenheit im Gefängnis zu gewähren. Ungeschminkt und unabhängig von unseren Schwächen oder Stärken. Nicht mal die Mauer haben wir frisch gestrichen… (Cristina lacht)

Die Mauer haben wir das letzte Mal streichen lassen.

Das geschah beim vorherigen Film („Himmelverbot“)… Tja.

Würdest du ein ähnliches Projekt nochmal machen?

Manchmal ist es nicht unbedingt angenehm, sich fremden Blicken in diesem Ausmaß auszuliefern. Mit Sicherheit werden manche Bilder negativ ausgelegt, wenn man uns mit anderen Strafvollzugssystemen vergleichen sollte. Anderseits stehen wir dazu, denn wir wissen, dass wir unser bestes geben, unter den hiesigen Bedienungen.

Und in dieser Gleichung mit vielen Unbekannten bleibt sicherlich das Wichtigste, dass die Insassen vor der Kamera sich frei äußern konnten und ungezwungen agieren, trotz Gefängnisgittern. Und das ist in erster Linie für sie selber wichtig, denn etwas Einmaliges, dieser menschliche Aspekt, bleibt dadurch erhalten: So zum Beispiel die Kindheitserinnerungen der Gebrüder Tomulescu. Schließlich handelt es sich hier nicht um Gefangenen-Filme sondern um Filme über Menschen in einer bestimmten Lage/Situation.

Würdest du ein ähnliches Projekt nochmal machen? 

Oh ha… Noch weiß ich nicht. (Cristina lacht). Zuerst brauchen wir eine Pause, es ist so viel passiert. Außerdem wüsste ich nicht, wie wir das noch toppen könnten.

Die Studenten meinen, sie hätten von ihren eigenen Fehlern viel gelernt. Sie hätten hier gelernt, sich zu öffnen und wie sie das nächste Mal an die Sachen herangehen sollen. Außerdem haben sie realisiert, dass sie für ihre Protagonisten eine Verantwortung tragen. Darauf zu achten, ihnen keinen Schaden durch die Bilder zuzufügen, was vielleicht auch eine Quelle ganz anderer Irrtümer sein kann.

Aber wir hatten euch doch zugesagt, dass die Protagonisten keine Nachteile oder Konsequenzen zu befürchten haben.

Das stimmt, aber die Verantwortung wog dadurch nicht weniger schwer und im Fall eines Misslingens, hätten sie keine Ausreden mehr. Das war Teil dieser Erfahrung. Ebenso die Erkenntnis, dass trotz gemachten Zusicherungen hier zu filmen ein Drahtseilakt bleibt, desto schärfer die Klinge bzw. die Schilderung wird. Solche Erkenntnisse sind für sie sogar wichtiger als die entstandenen Filme.

Mit Sicherheit wird diese Erfahrung sie prägen.

Das ist doch eine ganz normale Reaktion

Ich weiß allerdings nicht, in welchem Ausmaß  die Studenten am Anfang die Taten, wofür ihre Protagonisten verurteilt waren, kannten. Als sie dies erfuhren, schienen sie Vorbehalte zu haben. Man sieht doch in Pavels Film sein Entsetzen, als er vom Sozialarbeiter erfährt, warum der Mann dort einsitzt bzw. als Pavel das Fotoalbum mit den kleinen Mädchen entdeckt.

Man kann nicht anders, man muss auf solche Sachen unmittelbar reagieren. Und anschließend kommt man nicht drum herum, sie zu verinnerlichen. Das macht die Qualität und das Dilemma dieser Filme aus. Die Stärke von Leo´s Film ist, dass die Erlebnisse im Knast ein Teil von ihm wurden. Deswegen fühlt er sich quasi genötigt ein Flugzeug zu besteigen, um als Nachrichten-Überbringer die Ehefrau des Insassen ausfindig zu machen. Ich hoffe, dass auch die anderen Filme eine ähnliche Identifikationsader/-ebene (mit den Protagonisten) in sich tragen. Deswegen kamen fast alle Studenten erneut hierher.

Ganz sicher. Denkt nur an die Beziehung, die zu den Jungs von der Metallwerkstatt entstanden ist oder diejenige zu den Brüdern Tomulescu.

Jakob ist es aufgefallen, dass, als die Studenten das erste Mal den Gefängnishof betraten, zwei distinkte Gruppen sich bildeten, die sich wie zwei Gegner beim Betreten eines Boxrings aus der Ferne beäugten. Die Häftlinge auf der einen Seite, die Studenten auf der anderen. Und es dauerte eine Zigarettenlänge bis sie sich trauten, sich gegenseitig zu beschnuppern.  

Das ist doch eine ganz normale Reaktion. Speziell im Gefängnis, wo es zwischen dem Personal, Schließer inklusive, und den Eingesperrten eine unverrückbare Trennung gibt. Dazwischen gibt es immer eine Tür mit einem Schloss. Erst beim genaueren Betrachten, sieht man, dass auch innerhalb dieser Gruppen Unterschiede bestehen: Die Wärter verhalten sich anders als die Sozialarbeiter und diese wieder anders als das medizinische Personal.

Wir standen dazwischen. Deswegen haben wir manchmal die Sträflinge danach gefragt, ob sie nicht befürchten, dass wir auch als Spitzel agieren könnten? Sie haben es aber verneint.

Empfanden die Studenten manchmal  auch Angst oder Unsicherheit?

Ich weiß es nicht, wie es am Anfang gewesen ist. Jetzt, wo sie zurück sind, meinten zwei oder drei von ihnen, dass sie sich sehr sicher fühlen, da nicht nur die Wärtern sondern auch manche der Insassen für ihre Sicherheit sorgen.

* MEHR ZUR VERSCHWUNDENEN SD-KARTE

Aus einer der drei Videokameras, die den Protagonisten während der Dreharbeiten für die eigenen Aufnahmen ausgehändigt wurden, verschwand eine SD-Karte. Nach der Befragung durch den Gefängnis-Sicherheitsdienst kam es heraus, dass ein Insasse, der an dem Filmprojekt nicht beteiligt war, die Karte entwendet hatte und sie seiner Mutter per Post losgeschickt hatte. Im Gefängnis war die Aufregung groß, denn keiner wusste genau, um was für Bilder es sich handelte.  Als der Brief abgefangen wurde, stellte sich heraus, dass derjenige seine Zellenkumpanen bei einem fröhlichen Umtrunk mit Selbstgebrannten aufgenommen hatte. Alkohol ist in Haft selbstverständlich strengstens verboten. Anderseits ließ sich anhand der Bilder der Inhalt der Flaschen nicht restlos identifizieren, so dass die Saufkumpane mit einem blauen Auge davonkamen. Auch von einer Anzeige wegen Diebstahls (der SD-Karte) wurde schließlich abgesehen, weil derjenige kurz vor der Entlassung stand. Eine Verurteilung hätte ihm zusätzliche 3 Jahre Knast gebracht. Er erhielt nur eine Disziplinarstrafe. 

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Erfahrungsbericht des Regie Studenten Pavel Mozhar