INTERVIEW

Claudiu Onofrei (Oberwärter)

& Ovidiu Fecior (Sozialarbeiter)

Interviewer: Andrei Schwartz

Sie sorgten für etwas Abwechslung

Was habt ihr gedacht, als ihr erfahren habt, dass wir hier drehen werden?

Cl: Ich habe mich gefreut, ich bin neugierig gewesen zu erfahren, wie ein Film  gedreht wird, speziell weil ein Teil von euch aus Deutschland kommt. Ich fand, dass der Dreh eine Herausforderung für uns alle war.

Ov: Ich hatte vorher genauso wenig die Gelegenheit gehabt, Dreharbeiten beizuwohnen. Ich hatte bloß Aufnahmen für das hiesige TV-Studio erlebt, die sind aber ganz anders als eure Filme. Auch bei euch haben wir bloß die Drehaufnahmen verfolgt, vom Schnitt und der Postproduktion haben wir nichts mitbekommen. Es ist eine ganz neue Erfahrung gewesen und ich hoffe, dass ihr das wiederholt. Bei „Outside“ habe ich nur einen Teil mitbekommen: die ersten 2 Drehtage im Knast.

Cl: Ich weiß nicht, was für Erwartungen ihr gehabt habt, aber unser Hauptanliegen war, uns so echt/authentisch wie möglich zu verhalten. So zu sein, wie wir halt sind. inklusive des Umgangs mit den Insassen. Vielleicht haben euch die Gefangenen das gleiche gesagt. Schließlich sind wir alle bloß Menschen… Ein anderer Grund, uns über die Dreharbeiten zu freuen, war die Tatsache, dass sie für etwas Abwechslung sorgten. Die alltäglichen Probleme kennen wir in und auswendig. Ich arbeite hier seit 6 Jahren, seit etwa 3-4 Jahren ist alles unverändert. Wir dachten, durch euch passiere endlich etwas, woran wir uns noch später erinnern würden.

Die Insassen haben dasselbe über die hiesige Eintönigkeit gesagt.

Cl: Sie leiden noch viel mehr als wir darunter. Zumindest gehen wir nach 12 Stunden Dienst dann heim, aber speziell für diejenige Insassen, die lange Strafen zu verbüßen haben, wiegt diese Eintönigkeit um einiges schwerer.

Wiederholungstäter

Ov: Kommt drauf an, aus welcher Perspektive man die Sache betrachtet? Die Insassen kommen und gehen, wir bleiben bis zur Pensionierung hier. Einer meinte doch zu mir: „Ich komme bald frei, aber Sie müssen mindestens 20 Jahre hier absitzen“.

Cl: Keine Bange, auch bei denen sind die Hälfte Wiederholungstäter. Sie bleiben  3, 4 Monate da draußen, höchstens ein Jahr, und dann ab ins Kittchen. Zum Glück fahren jetzt viele ins Ausland und es dauert etwas länger bis sie eingefangen werden. Hierher zurück kommen sie aber garantiert wieder. Es gibt Sträflinge, die mit kleinen Unterbrechungen praktisch seit ihrer Volljährigkeit hier gesessen haben, hier hat sich ihr Leben abgespielt. Ich glaube, auch wenn es hart klingt, dass solche Leute sich nicht mehr reintegrieren lassen. Ähnlich wie Menschen, die niemals ihren Geburtsort verlassen haben. Nur an jenem Fleck fühlen sie sich wohl, denn einzig dort kennen sie sich aus, draußen sind sie verloren. Solche Wiederholungstäter sind nicht unbedingt repräsentativ aber ein fester Teil dieses Konstrukts hier.

Cl: Gesellschaftlich gilt das als eine negative Entwicklung. Ich finde es aber nicht so schlimm: Wenn diese Leute sich an das hier gewöhnt haben, sie schaffen halt nicht mehr, sich anderswo zurechtzufinden. Und ich bin überzeugt, dass auch in anderen Ländern das gleiche Phänomen gibt.  Aber wie gesagt, sie sind nicht so zahlreich, von den 22.000 Sträflingen in Rumänien sind es mal gerade tausend. Das ist das gleiche als wenn ich meinen Großvater vom Land in die Stadt holen würde, er würde nicht länger als zwei Tage aushalten. Mancher kann sich einfach nicht einleben. Meiner Meinung nach, wird es mit der Reintegration übertrieben. Außerdem hängt Vieles von der Erziehung ab.

Wie lange werdet ihr brauchen, um selber zu Wiederholungstätern zu mutieren

Cl: Unser Psychiater meinte, nach fünf Jahren sei das bereits unumkehrbar. (Cl. Lacht) Wir hoffen, dass wir erst in fünfzehn Jahren so weit sein werden…

Für eine Momentaufnahme reicht es vielleicht

Wie findet ihr die Idee, Filme über den Knast zu machen?

Cl: Für die Welt da draußen ist es toll, alle finden das Leben im Knast sehr aufregend. Da wir hier arbeiten, erscheint uns das recht banal. Anderseits birgt das die Chance, ein Bild von uns nach draußen zu transportieren. Also positiv. Wir finden es OK.

Ov: Solche Orte wie Knast oder Psychiatrie haben fürs Publikum ihren Reiz, weil sie unzugänglich sind. Ein Film schafft kaum mehr als eine klitzekleine Spalte dieser Welt zu zeigen. Ich glaube nicht, dass man mit Hilfe eines Films erfahren kann, was sich tatsächlich in einem Knast abspielt. Das wäre auch zu viel verlangt. Aber für eine Momentaufnahme reicht es vielleicht, einem Schnappschuss gleich. Aber das hiesige Geschehen kannst du nicht einfangen, erst wenn du hier leben würdest, könntest du es erfassen…

Cl: Als Gefangener hier zu leben… Denn nicht mal wir kennen das wahre Leben in den Zellen, für uns gibt es immer eine Mauer davor. Das eine ist hier Insasse zu sein und etwas völlig anderes Teil des Personals. Auch wenn du dich ständig in ihrer Mitte aufhältst, hast du keinen Zugang dazu. Erst nach dem Einschluss spielt sich das eigene Knast-Leben ab. Ein Leben, das nicht unbedingt gewalttätiger sein muss, sondern bloß anders. Mit unterschiedlichen Gesetzen und Bräuchen.

Ov: Ihr seid bei ihnen in der Zelle gewesen und habt mit ihnen auf ihren Pritschen diskutiert oder mit ihnen gegessen. Ich glaube aber nicht, dass ihr ihren waren Alltag mitbekommen habt, wir haben doch alle die Tendenz, dem Besucher die Schokoladenseite zu zeigen. Eine herausgeputzte Realität halt…

Ich kenne genug arme Leute

Cl: Ich glaube, sie haben sich bestimmt über die Zustände beschwert, zumindest ein wenig. Es gibt hier nur zwei Varianten: entweder Beschweren oder Lobpreisen. Aber ich vermute eher Beschweren.

Seltsamerweise haben sie sich nicht beklagt…

Cl: Das wird uns sicherlich freuen. Auch wenn es nicht alle zugeben, gibt es auch Verbesserungen: die Verpflegung z. B. Es gibt Häftlinge, die die schweren Jahre hier, so um 2000, mitbekommen haben. Nicht jeder hatte damals ein eigenes Bett gehabt. Heute haben sie Fernseher, fließendes Wasser… Vergiss nicht, dass wir in Rumänien sind, mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat kein fließendes Wasser. Die Verpflegung im Knast ist besser geworden, auch wenn sie längst nicht gut ist. Sie sind aber einigermaßen damit zufrieden. Beim  Militär war die Nahrung schlechter…

Ich glaube kaum, dass es einem hier besser geht, als da draußen…

Cl: Mit Sicherheit nicht, aber es gibt welche die Zuhause noch schlechteres Essen vorgesetzt bekommen… Ich komme vom Lande, ich kenne genug arme Leute, Botosani, ist einer der ärmsten Bezirke im Land. Wir haben viele Insassen, die logischerweise aus dieser Gegend stammen. Viele haben es Zuhause noch schwerer, die Kollegen müssen einigen von ihnen hier beibringen, wie ein Wasserhahn oder ein WC funktioniert. Die Modernisierung des Landes wird sicherlich noch 10, 15 Jahre andauern.

Also hat es doch Sinn gemacht im Gefängnis zu drehen?

Cl: Gewiss. Das Ausland bekommt einen Eindruck davon, was in Rumänien los ist. Ob gut oder schlecht, das ist nicht mal so wichtig. Hauptsache sie nehmen Kenntnis von uns. Ich denke, dass wir nicht den besten Ruf haben, das habe ich selber in Deutschland, Frankreich oder Italien erlebt. Aber das ist halt so wie es ist, deswegen müssen wir die Sachen beim Namen nennen. Vielleicht ändern sie doch ihre Meinung über uns und sind neugierig, uns hautnah zu erleben.

Ihr seid in einer anderen Position

Was glaubt ihr, was für ein Bild sich diese Filmstudenten von euch gemacht haben?

Cl: Vielleicht kamen sie hier mit Vorurteilen und sie haben sie dann korrigiert. Zum Besseren… Trotz der Tatsache, dass einige der Wärter ihnen gegenüber nicht freundlich gewesen sind, das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen. Ich habe da nicht eingegriffen, damit die Studenten einen unverfälschten Eindruck von uns bekämen, so wie wir wirklich sind. Wie überall gibt es nette und weniger nette Personen.

Und wie fandet ihr die Studenten?

Cl: Ich fand sie anständig, sehr kommunikativ. Außerdem fand ich sehr interessant, dass sie aus unterschiedlichen Ländern kamen und dass die Arbeitsgruppen gemischt waren. Dadurch gab es mehr Anregungen innerhalb der Teams. Sie waren aber etwas zu unvorsichtig im Umgang mit den Häftlingen, von denen einige gefährlich sind. Wir sind froh, dass nichts passiert ist.

Ov: Zu der Frage, ob der Film Sinn gemacht hat? Ich meine ja. Ich habe erlebt, wie man dein Team in 2012 hier empfangen hat und wie es heute der Fall ist. Jetzt gehört ihr quasi zur Einrichtung dazu. Keiner findet noch etwas dabei, wenn fünf Studenten in einer Ecke ihre Zigaretten lässig drehen. Dabei ist euer Verhältnis  bzw. Verhalten zu den Insassen ganz anders. Ihr seid in einer anderen Position, wir sind an die hiesigen Vorschriften/Regeln gebunden, ihr nicht in gleichem Maße. Womöglich habt ihr dadurch einen besseren Zugang zu den Insassen gehabt, sie sind offener gewesen. Auch wenn sie euch nicht unbedingt große Geheimnisse verraten haben, ihr habt zu mindestens ihre Nöte und Hoffnungen erfahren, das, was sie bewegt. Es würde sie verwundbar machen, wenn sie uns ihren Kummer erzählen würden. Sie geben sich lieber als unbeugsam aus. Aber mir ist es aufgefallen, als sie euch erblickten, tauchte ein Schmunzeln in ihren Gesichtern auf. So als wäret ihr irgendwelche Verwandte. Für mich eigenartig, so was im Gefängnis zu beobachten, fast wie Freundschaft.

Gestern auf der Sektion 1. haben uns einige von ihnen gesagt, dass sie unseren Weggang wie eine zweite, zusätzliche Wegschließung empfanden. Ihre einzige Frage zu den Filmen war: Wann kommen wir wieder her? Und seltsamerweise haben sich hier alle Studenten extrem sicher gefühlt, sie haben sogar das Gefühl gehabt, dass die Insassen selber sie beschützt hätten.

Cl: Klar gibt es auch unter ihnen unterschiedliche Kategorien. Auch mit der geklauten SD-Karte war es dasselbe: Einige haben sich darüber gefreut, die meisten aber nicht.

Ov: Klar nicht, weil alle hier im Gefängnis daran interessiert waren, dass das Projekt gelingt, bloß einer hat eure Gutgläubigkeit zu seinem eigenen Vorteil genutzt.

Euer Tun passte zu keiner Weisung

Warum sind einige der Wärter uns gegenüber so widerwillig gewesen? Was hat sie gestört?

Ov: Hier ist alles strikt reglementiert. Selbst eine Zellendurchsuchung ist im Detail durchgenormt. Euer Tun passte zu keiner Weisung oder Regelung so richtig.

Cl: Es war das erste Mal, dass jemand ohne Bewachung mit den Insassen in der Zelle reden dürfte. Höchstens ein Untersuchungsrichter darf das. Es geht gar nicht ums Abhören sondern um die Sicherheit, die Zellentür muss verschlossen sein. Dabei ist in der eigentlichen Verordnung darüber nichts Konkretes erwähnt, denn das ist selbstverständlich. Die Wärter waren verunsichert, sie stellten sich die Frage: Wer wird dafür verantwortlich gemacht, wenn etwas passiert? Ich, der Trakt-Wärter, weil ich es erlaubt habe… Wieso darf ein Insasse mich im Dienste filmen? Und danach womöglich das Zeug ins Internet stellen. Es gab neulich so einen Fall. Als Vorgesetzter müsste ich ihre Anliegen in Betracht ziehen, um sie zu überzeugen, dass das in Ordnung geht, solange die Gefängnisleitung dahinter steht. Es gab nicht viele Unwillige aber es gab welche. Es ist die Schuld unserer Institution, dass wir keine Richtlinien vorab festgelegt haben. Dann hätte vielleicht keiner etwas dagegen gehabt. Alle haben hier Angst davor, verklagt zu werden, denn das passiert recht oft. Das war der Grund der Anfeindungen.

Ov: Außerdem müssen im Falle einer Verfehlung hier alle den Kopf hinhalten, wenn einem von euch etwas geschehen wäre, vom Wärter bis zum Direktor. 

Die Tatsache, dass wir uns so selbstverständlich im Gefängnis freibewegten, war vielleicht für manche der älteren Wärter das eigentliche Problem? Empfanden sie das als unbefugtes Betreten ihres Hoheitsgebiets?

Es wird allgemein angenommen, dass auf dem Zellentrakt die Wärter das Sagen haben. Ich habe aber erlebt, wie diesmal ein Insasse seinen Wärter mit der Kamera, verfolgte/filmte. Mit der Kamera, die ihr ihm zu Verfügung gestellt habt. Man sah dem Beamten an, dass er sich dadurch verwundbar fühlte. Es war eine Demütigung für ihn und der Insasse wusste das. Die Kamera war in seiner Hand ein Machtinstrument. Die Rollen waren auf einmal vertauscht und der Wärter empfand sich als der schwächere.