Drehen

Es dauert über eine Woche bis die ersten Teams mit den eigentlichen Dreharbeiten beginnen. Dazu trägt auch bei, dass das gegenseitige  Vertrauen zwischen der Gefängnisleitung, dem Chef der Sicherheitsabteilung und den Projektteilnehmern mit den Tagen gehörig gewachsen ist, sodass die Drehteams größere Freiheiten genießen. Jedem Team wird ein Sozialarbeiter zugeordnet, der die Gruppe vor Ort begleitet. War es ursprünglich verboten, außerhalb der festgelegten Drehslots zu filmen, wird inzwischen das Drehen auch während des Mittagessens und nach Einschluss erlaubt. Sogar der Wechsel zwischen den einzelnen Sektionen ist nicht mehr tabu, auch wenn dies einen erhöhten Einsatz von Sozialarbeitern bedeutet. Das gesamte Personal, einschließlich der Wärter, scheint entspannter zu werden und zeigt mehr Verständnis für die Wünsche der Studierenden. Sie konnten auch die Erfordernisse des dokumentarischen Drehens besser nachvollziehen. Es kommt immer öfters vor, dass die Studierenden und Häftlinge für längere Zeit unbeaufsichtigt bleiben können, sodass Ungezwungenheit und Nähe entstehen kann. Dazu Ovidiu Fecior, Sozialarbeiter: „Mir ist aufgefallen, dass ein Schmunzeln in ihren Gesichtern auftauchte als sie euch erblickten. So als wärt ihr irgendwelche Verwandte. Für mich ist es eigenartig so was im Gefängnis zu beobachten, fast wie Freundschaft“.

An die wichtigste Regel, dass Handys im Knast strikt verboten sind, halten sich alle. Einem Team werden sogar kleine Kameras erlaubt, mit denen die Insassen selbst drehen durften. Diese Kameras müssen zwar über Nacht bei den Wärtern abgegeben werden, das gedrehte Material wird von diesen aber nicht gesichtet. Diese spezielle Herangehensweise (die Insassen filmen selbstständig ihre Umgebung) wird Hauptbestandteil des Films VIZITATOR von Pavel Mozhar. Eine Methode, die  viel Authentizität  mit sich bringt, aber auch manche Probleme: Eine der Speicherkarten wird am letzten Abend entwendet, um Selfis eines verbotenen Besäufnises nach draußen zu schmuggeln. Manche Wärter sind nicht ganz glücklich, dass die  Insassen sie filmen.

Die 360 Grad Aufnahmen von Christian Zipfel für seinen Film THE RAIN THAT IS FALLING NOW WAS ALSO FALLING BACK THEN sind ebenfalls ein Novum. Um nicht im Bild zu sein, durften  während der Aufnahmen weder Regisseur noch Bewacher sich in der Zelle aufhalten. Die Insassen bestimmen eigenständig das Geschehen. Für die Insassen war das Erleben ihrer eigenen „virtuellen“ Zelle“ durch die 360 Grad Brille wortwörtlich schwindelerregend. Beim Gucken verloren sie die Orientierung und mussten von ihren Kameraden gestützt werden.

Mit der Zeit fühlen wir uns immer weniger als Fremdkörper im Gefängnisalltag. Auch die Gefangenen scheinen sich an uns gewöhnt zu haben, manche von Ihnen warten morgens bereits auf uns.  Das Miteinander wird normaler. Um so mehr wir voneinander wissen, desto leichter wird nicht nur die Kommunikation sondern auch das Filmen. Jetzt entsteht jene Basis, die wir am Anfang des Drehens so vermisst hatten: die Nähe zu unserem Gegenüber.

Und langsam bricht Hektik aus, denn die Zeit wird knapp um alle Zutaten für die Filmerzählungen zusammen zu bekommen. Wir haben den Protagonisten und der Gefängnisverwaltung zugesagt vor unserer Abfahrt etwas Ähnliches wie Rohschnitte zu zeigen. Es wird also gedreht, geschnitten und gestritten. Und am Ende finden drei Sichtungen in überfüllten Räumen statt.Es gibt  Applaus und überraschend viele persönliche Anmerkungen. Es hat ihnen anscheinend gefallen.