Technische Hintergründe

360°

Die GoPro Fusion verfügt über zwei Linsen, die jeweils mehr als 180° aufzeichnen. Die Kamera zeichnet zwei separate, kreisförmige Videos auf, die mit einem digitalen Algorithmus zu einer 360° Sphäre zusammengerechnet werden. Die entstandene Sphäre hat eine Auflösung von 5,7K. Sie wird zum besseren Verarbeiten des Videomaterials auf einen Quader mit dem Seitenverhältnis 2:1 verzerrt. Beim Abspielen des finalen Videos, wird dieser wieder in eine Sphäre umgerechnet. Obwohl eine 5,7K Auflösung mit einer Kinokamera überaus brillant und scharf wäre, ist dies in diesem Falle nicht so, da sich die Auflösung auf die gesamte Sphäre bezieht. Beim Betrachten sieht der/die Rezipient*in demnach nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Bildes, wodurch eine Sehschärfe generiert wird, die in etwa der Qualität einer DVD entspricht. Auch wenn es 360° Kameras mit einer deutlich höheren Auflösung gibt, wurde bei diesem Dreh bewusst auf diese „Action-Cam“ gesetzt. Die Kamera verfügt lediglich über zwei Linsen und hat demnach nur eine kreisförmige Schnittkante, auf die beim „Stitchen“, dem Zusammenrechnen des digitalen Rohmaterials, geachtet werden muss. Dadurch hatten die Protagonist*innen des Films eine große Bewegungsfreiheit, da sie sich nicht nur in einem gewissen Teil des Bildes bewegen durften. Beim Überschreiten der Schnittkanten kommt es nämlich zu digitalen Bildfehlern, welche die Immersion stören.

Eine 360° Action-Cam wie die GoPro Fusion arbeitet zudem gänzlich automatisiert. Die Belichtung funktioniert über eine automatisierte Anpassung der ISO und der Belichtungszeit, wodurch das Bildrauschen variiert und es zu flackernden Lichtquellen kommen kann. Die Automatisierung ermöglicht ein freies, intuitives und schnelles Arbeiten, birgt jedoch die Gefahr, dass das Material Schaden nimmt. Da im Gefängnis sendefähige Devices nicht zulässig sind, weil diese geklaut und für die Kommunikation mit der Außenwelt missbraucht werden könnten, musste eine Kamera genutzt werden, die auch ohne Laptop oder iPads zu bedienen ist.

Das 360° Material wurde mit Interviewaufnahmen kombiniert, die mit einer Canon 5D Mark II aufgenommen wurden. Die GoPro Fusion und die 5D können im gleichen Farbcodec und in der gleichen Framerate aufzeichnen, wodurch eine Kombination technisch auf simple Weise möglich ist. Die 5D wurde genutzt, um bei dem Interview physisch näher an den Protagonist*innen zu sein, als es mit einer 360° technisch möglich gewesen wäre. Dadurch wurden die sensiblen Interviews emotional verstärkt. Die „flachen“ 5D Aufnahmen wurden in Premiere mit dem Effekt „Ebene zu Sphäre“ in das 360° Bild integriert. Das flache Bild wird bei diesem Prozess digital projiziert und in der Sphäre einer gewissen Position zugeordnet.

Bei den 360° Aufnahmen wurde ausschließlich mit natürlichem Licht und Practicals gearbeitet, da gebautes Filmlicht stets als solches im Bild erkennbar gewesen wäre und dadurch die dokumentarische Immersion brechen würde. Bei den Interviewaufnahmen mit der Canon 5D wurde hingegen mit einem LED-Panel gearbeitet, um den Gesichtern mehr Präsenz und Details zu verleihen.

Der 360° Film abreitet mit „Spatial Audio“ – Raumklang, der an die Bewegungsrichtung synchronisiert ist. Bei der Aufnahme wurde das Sennheiser Ambeo Mikrofon benutzt, das stets mit vier Audiokanälen aufnimmt. Die daraus resultierenden Atmos verstärken die Raumimmersion maßgeblich.

Bereits beim Dreh wurden Vorbereitungen für die Postproduktion getroffen. Da keiner der Filmemacher*innen beim Dreh der 360° Aufnahmen im Raum war, musste das Material täglich nach Drehschluss digital „entwickelt“ werden. Die GoPro Fusion zeichnet zwei separate Einzelbilder auf, die nur dann aussagekräftig gesichtet werden können, wenn diese zumindest provisorisch gestitcht wurden. Daher wurde das Material nachts mit einer kleinen, improvisierten Renderfarm gestitcht, damit das Material am darauffolgenden Tag begutachtet werden konnte. Insgesamt wurden ca. 12 Stunden VR Material und ca. 6 Stunden Interviewmaterial generiert.

Text: Christian Zipfel