DISKUSSION

Nach den ersten Vorführungen

mit Susanne Schüle [Su],  Andrei Schwartz [A], Pavel Mozhar [P], Jakob Reinhardt [J], Insasse „Italiener“, Insasse “Pirat”, unbekannte Insassen von Sektion 1 [In]

A: Was hat euch bei den Filmen nicht gefallen?

In: Nichts. Ich fand sie alle ganz schön. Sie schienen mir aber zu kurz.

Su: Zu kurz…? Und wir dachten, sie wären euch zu langatmig.

In: Überhaupt nicht.

In 2: Beim nächsten Mal sollten die Filme abendfüllend sein.

Su: Hierfür müsste man viel länger drehen.

Pirat: Mich haben sie nonstop gefilmt, ich habe mich aber kaum im Film gesehen, nur die paar Aufnahmen beim Rummy-Spiel im Hof. Dabei haben sie mich 2 Tage lang gefilmt und interviewt. Das alles kam in dem Film aber nicht vor. 

A: Hast du dir den Regisseur nicht gekrallt und…? (Pirat lacht)

Pirat: Der Film mit Tican hat mir am meisten gefallen…

In: Die Reportage bei ihm Zuhause. 

Su: Und habt ihr auch was Neues über eure Kollegen erfahren?

Italiener: Im Großen und Ganzen kannten wir deren Geschichten… 

Pirat: Aber eine Film-Ausrüstung haben wir noch nie gesehen. Speziell die 3D Brille. Als ich dadurch geguckt habe, habe ich das Gefühl gehabt, mitten in deren Zelle zu sein.

Su: Was war für eine Stimmung, als es euch erzählt wurde, dass wir kommen, also als diese Werkstatt angekündigt wurde?

Pirat: Ich hielt das nicht für möglich.

Italiener: Ein Hirngespenst… 

Pirat: Ich habe 26 Jahre Knast auf dem Buckel, aber so was konnte ich mir nicht vorstellen. Unmöglich. In den Achtzigern müsste ich mich krank meldete, damit ich ein weibliches Wesen im Knast erblicken konnte, auf der Krankenstation wohl gemerkt. Für mich war’s unvorstellbar, dass jetzt Studentinnen so nah bei uns sein dürften.

Su: Das heißt, wir waren die ersten…

Pirat: Wir konnten unseren Augen nicht trauen. 

Italiener: In rumänischen Knästen gab es so was noch nie. Du dürftest nicht mal die Hand eines fremden Besuchers schütteln.

Su: Wie war’s, als ihr uns das erste Mal gesehen habt? Welchen Eindruck habt ihr gehabt?

Pirat: Als ich Angie in unserer Mitte sah, habe mit der Angst gekriegt, ich bin fast zur Salzsäule erstarrt: Eine Frau in dieser Räuberhölle. Sie ist ein mutiges und sehr kommunikatives Mädchen.  Mit euren Gerätschaften habt ihr mir eine Mordsangst gejagt. Am Anfang fühlte ich mich verfolgt und zum Abschuss freigegeben. Deswegen habe ich mich in der Zelle versteckt.

S: Angst vor uns gehabt? 

Pirat: Beim Anblick solcher Apparatur…

Su: Und was habt ihr vermutet, dass wir von euch denken? 

Pirat: Dass wir ein paar bedauernswerte Kreaturen sind, die bloß Papirossa-Kippen rauchen.

A: Und einige Tage später?

Pirat: Dann hat sich eure Meinung geändert. Zuerst habt ihr uns einzig für Mörder und Halunken gehalten… Später habt ihr gemerkt, dass wir auch nur Menschen sind… Nachdem einige von euch bei uns in der Zelle gefilmt haben, hatten sie einen anderen  Eindruck von uns. Wir entsprechen nicht mehr jenem Stempel, den die Gesellschaft uns verpasst hatte: Bodensatz der Gesellschaft. Dabei klauen andere mehr als unsereins, sie wurden nur nicht erwischt. Manche von uns sind bloß aus Dummheit hierher gelandet.

Su: Habt ihr nach unserem Abgang am ersten Tag darüber gesprochen? Über die Frauen und den Rest?

Italiener: Ich habe euch richtig vermisst.  Wir hatten uns an euch gewöhnt, inzwischen habt ihr einfach dazu gehört.

A: Aber am ersten Abend, was wurde über uns geredet?

Pirat: Dass wir auch sowas erleben konnten, wie Frauen und fremde Leute unsere Zelle ungehindert betreten dürften. 

Italiener: Und dass sowas wie Nähe entstanden war. 

A: Haben diese 3 Wochen und unsere Rückkehr jetzt irgendeine Veränderung in dem Gefängnisalltag gebracht?

Pirat: Ihr habt die Atmosphäre ziemlich verändert.

Su: Kannst du uns das konkreter erläutern?

Italiener: Einige von uns haben seit Jahren nicht mit Leuten von außerhalb der Mauern gesprochen. Weil niemand sie besucht. Die täglichen Gespräche mit euch und die Möglichkeit, euch unsere Nöte und Sorgen mitzuteilen, waren eine Erleichterung für uns.

P: Gab es nach unserem Weggang Probleme mit den Wärtern oder mit der Gefängnisleitung?

Pirat: Danach fühlte ich mich so, als wäre ich noch einmal eingesperrt worden… So kam mir das vor. Angie und die anderen haben mir beim Hofgang einfach gefehlt. 

Italiener: Danach habe ich euch alle vermisst. 

P: Gab es aber irgendeinen Konflikt, Zwischenfall?

Pirat: Einzig die Streitereien und das Durcheinander wegen des verschwundenen SD-Card… Das war nicht in Ordnung von dem Jungen, ihn eingesteckt zu haben. Er hat er Schande über uns alle gebracht.

Su: Gab es deswegen Stress untereinander?

Pirat: Nein, wir haben nur denjenigen aufgefordert, die SD-Card rauszurücken… Wir fanden seine Geste nicht in Ordnung, schließlich hattet ihr uns vertraut. „Jetzt müssen wir uns deinetwegen schämen“, haben wir ihm gesagt.

Su: Ich hatte nie das Gefühl, dass wir hier unsicher waren. Eher, dass ihr auf uns aufgepasst habt.

Pirat: Das stimmt. 

A: Gibt es Sachen, die uns nicht aufgefallen sind?

Pirat: Nein, sowas gab’s nicht… Wir sind auch nur Menschen, keine Raubtiere. Schließlich sind wir doch nicht direkt aus dem Bauch unserer Mütter in den Knast gelandet. Wir sind ein Teil der Gesellschaft. Mein erster Eindruck war, dass, trotz der Tatsache, dass ihr aus der Zivilisation gekommen seid, euch nichts ausgemacht hat, eure Zeit mit unsereins zu verbringen. Deswegen empfanden wir uns selber als Menschen. 

A: Habt ihr aber keine Angst gehabt, dass wir euch in Filmen herabwürdigen könnten? 

Italiener: Nein, man könnte euch ansehen, dass ihr anständig seid. Uns so sind auch die Filme geworden.

A: Habt ihr nicht Angst gehabt, dass wir euch bespitzeln könnten?

Pirat: Die Jungs auf meiner Zelle hatten solche Befürchtungen geäußert. Deswegen waren sie nicht damit einverstanden, als Teona so viele Stunden in der Zelle drehen wollte. Man weißt ja nie…

Su: Aber wenn man hier zum ersten Mal reinkommt, wirkt ihr alle etwas einschüchternd, mit euren coolen Posen und all den Muskeln. Erzählt ihr euch eure Lebensgeschichte auch gegenseitig?

Italiener: Ja, größtenteils. Es hängt aber davon ab, mit wem man die Zelle teilt. Nur wenn derjenige dir nah steht, erzählst du ihm sowas. Sonst nicht. Bestimmte Sachen lassen sich aber nicht erzählen.